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null Das HPZ Rottal-Inn feierte 40. Geburtstag

„Jeder Mensch ist willkommen, so wie er ist"

Vor 40 Jahren wurden verschiedene Einrichtungen unter dem Dach des Heilpädagogischen Zentrums Rottal-Inn (HPZ) zusammengefasst – der Startschuss für eine kolossale Entwicklung. Heute ist das HPZ eine komplexe Fördereinrichtung für junge Menschen mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Oder wie Einrichtungsleiterin Gabriele Frauscher sagt: „Wir sind eine ganz normale Schule mit besonderen Schülerinnen und Schülern." Beim Jubiläum war Zeit zurückzublicken und Erreichtes zu würdigen. „Das HPZ ist ein Musterbeispiel für den bayerischen Weg der Inklusion", sagte KJF-Direktor Michael Eibl. Am Ende des Wegs sei man aber noch lange nicht angekommen.

40 Jahre HPZ

„40 Jahr, wunderbar, so stehst du vor mir …"

Das sangen Schülerinnen und Schüler aus der St. Rupert-Schule am Beginn der Jubiläumsfeier und stimmten ihr Publikum auf launige Stunden und schöne Begegnungen ein. KJF-Direktor Michael Eibl begrüßte als Ehrengäste Prälat Dr. Josef Schweiger, Pfarrer Egon Dirscherl, MdL Reserl Sem, Landrat Michael Fahmüller, Bezirksrat Dr. Thomas Pröckl und den ehemaligen Schulleiter Helmut Olzowy. In einer Gesprächsrunde, moderiert vom „Radio sag‘ was"-Team der Schule mit Tobias Ullmann, Janine Weinmeier und deren Lehrer Franz Esterl wurde dem HPZ viel Lob und Anerkennung zuteil. So sagte Landrat Fahmüller: „Die Bedeutung des HPZ für die Region ist enorm." Bezirksrat Dr. Thomas Pröckl dankte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die hervorragende Arbeit. MdL Reserl Sem ist der Schule seit den 90er Jahren verbunden, in denen sie als Erzieherin dort arbeitete: „Ich liebe diese Schule und bin dankbar, dass ich sie so intensiv erleben durfte."

 

Es geht immer zuerst um die Kinder

„Schüler ein ganzes Schulleben lang zu begleiten und zu sehen, wie viel sie lernen können, wie emanzipiert und selbstbewusst sie am Ende die Schule verlassen, das ist einfach schön", sagt Einrichtungsleiterin Gabriele Frauscher. Und genau daraus zieht sie auch ihre tägliche Motivation. Frauscher ist seit 2006 die Leiterin am HPZ. Viele Themen der letzten Jahre hat sie maßgeblich vorangetrieben. Ihre oberste Prämisse: Es geht immer zuerst um die Kinder und Jugendlichen, und zwar um jeden einzelnen. Dementsprechend lautet das Credo der Einrichtung: „Jeder Mensch, der uns anvertraut wird, ist willkommen, so wie er ist."

 

Raum zum Leben und Lernen

Das HPZ betreut, fördert und unterrichtet junge Menschen mit Entwicklungsverzögerungen, Einschränkungen und Behinderungen vom Säuglingsalter bis 21 Jahre. Die Einrichtung umfasst Frühförderstelle, integrativen Kindergarten, Schulvorbereitende Einrichtung, St. Rupert-Schule und Tagesstätte. Raum zum Leben und Lernen. Mit 176 Mitarbeitern, Sonder- und Sozialpädagogen, Heilerziehungspfleger und verschiedene Therapeuten sowie Verwaltungsangestellten ist das HPZ heute einer der größeren Arbeitgeber im Landkreis.

„Jedes Kind erhält genau die Förderung, die es in seiner individuellen Entwicklung benötigt. Dabei arbeiten Frau Frauscher und ihre Kollegen vorbildlich mit den Eltern und Schülern zusammen. Das Miteinander mit den Regeleinrichtungen ist selbstverständlich und sehr professionell", würdigt der Direktor der KJF, Michael Eibl, das Engagement.

Die Geschichte des HPZ reicht zurück bis in die 1960er Jahre. Schon 1963 initiierte Franz Randak, späterer Vorsitzender und Ehrenvorsitzender der Aktionsgemeinschaft Kind in Not, die gezielte Förderung geistig- und mehrfachbehinderter Kinder im Landkreis Rottal-Inn. Gemeinsam mit der Katholischen Jugendfürsorge mit deren damaligem Direktor Prälat Dr. Josef Schweiger folgte etliche Jahre später die Errichtung einer selbstständigen Schule, der St. Rupert-Schule. Am 1. September 1978 schlossen sich die Frühförderstelle in der Trägerschaft der KJF (gegründet 1969), Schulvorbereitende Einrichtung (1974), Tagesstätte (1975) und die St. Rupert-Schule zusammen: Die Geburtsstunde des Heilpädagogischen Zentrums Rottal-Inn.

 

HPZ oder Partnerklasse – individuelle Schulwege sind möglich

Seitdem hat sich viel getan, gerade in den vergangenen zehn Jahren. Das Stichwort lautet Inklusion. Beflügelt von der UN-Konvention, die die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle Menschen fordert, und mit Rückendeckung von Eltern und KJF, entstand 2010 an der Grundschule Pfarrkirchen die erste Partnerklasse samt Tagesstätte. „Schulleiter Gerhard Gillhuber war damals der erste und einzige im Landkreis, der uns die Gründung der Partnerklasse ermöglicht hat", blickt Frauscher zurück. Seitdem können Schülerinnen und Schüler der St. Rupert-Schule auch an einer Regelschule unterrichtet werden. Das Konzept klingt einfach: Die Klassen verbringen möglichst viel Zeit zusammen. Getrennt wird nur, wo es sinnvoll und notwendig ist.

„Dieser Wandel hin zu einem differenzierten Konzept hat uns sehr stark herausgefordert. Wir mussten Formen der Zusammenarbeit mit den Partnerklassen finden, die Kollegen fortbilden, Eltern mitnehmen und Barrieren im Kopf abbauen – das alles war viel schwieriger als geeignete Räume zu finden", so die Schulleiterin. Aber der Grundstein war gelegt. 2012 und 2013 folgten Anschlussklassen für die Mittelstufe in Mitterskirchen (Klassen 5/6) und Wurmannsquick (Klassen 7-9). Damit könne man alternativ zu Unterricht und Tagesstätte im HPZ eine durchgängige Alternative an Regelschulen anbieten, ganz oder temporär, so Frauscher.

Und genau dieser Einsatz wurde 2015 auch vom Bayerischen Kultusministerium mit der Verleihung des Schulprofils Inklusion gewürdigt – eine Auszeichnung, auf die im HPZ alle mächtig stolz sind. „Das Kollegium und alle Mitarbeiter sind bei uns unermüdlich im Einsatz für unsere Kinder. Sie haben mit mir diskutiert, haben auch mal Pausen angemahnt und sind den Weg aber immer überzeugt mitgegangen", sagt Frauscher dankbar. Mit dieser Auszeichnung gehört das HPZ zu den ersten Einrichtungen in Bayern überhaupt.

 

Schub für Selbstvertrauen und Selbstbestimmung

Und das ist bei weitem nicht der einzige Erfolg. Die St. Rupert-Schule ist heute Projektschule für spezielle Fördermaßnahmen am Übergang zwischen Förderschule und Beruf. Vier der elf Klassen im Haus zählen zur Berufsschulstufe. Das HPZ beteiligt sich an der Ausarbeitung der Lehrpläne für die Berufsschulstufe an unserer Förderschulart und ist somit ein Impulsgeber für andere Einrichtungen in Niederbayern.

Das HPZ will seine anvertrauten Kinder und Jugendlichen in ein Leben mit größtmöglicher Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe begleiten. Dazu gehören auch gemeinschaftliche Erlebnisse in der Freizeit und Sport. Seit drei Jahren organisiert das HPZ ein inklusives Fußballturnier, bei dem alle Eggenfeldener Schulen mitmachen. Besonders erfolgreich ist das von Frauscher gegründete Schwimmteam: „Für viele Mädchen ist das Schwimmen zu einem ganz wichtigen Hobby geworden, weit über die Schule hinaus." im Mai 2018 gab es 6 Medaillen bei den nationalen Special Olympics in Kiel – Ereignisse und Erfolge, die den jungen Mädchen Selbstvertrauen geben und das Selbstbewusstsein stärken.

 

Kein Kostenfaktor, sondern kostbar

So stolz man auf all diese Meilensteine auch ist, am Ziel angekommen sind Frauscher und ihr Team noch längst nicht. Das Gebäude braucht eine Generalsanierung, die mangelhafte Versorgung mit Sonderschullehrern bereitet Kopfzerbrechen – gerade auch angesichts der wachsenden Zahl an Schülern mit besonders herausforderndem Verhalten. „Die Kinder und Jugendlichen werden immer unterschiedlicher, die Bandbreite der Leistungen immer größer", erklärt Frauscher. Umso mehr kämpft sie dafür, dass ihre besonderen Schülerinnen und Schüler nicht als Kostenfaktor gesehen werden, sondern als kostbare Mitglieder unserer Gesellschaft. Um diese Sichtweise zu stärken und das Einrichtungskonzept weiter zu treiben, wünscht sich das HPZ die Unterbringung einer Regelklasse bei sich – ein Plan, der bis dato kaum auf offene Ohren stößt. Genauso die Teilhabe der Kinder im Freizeitbereich, zum Beispiel beim Sport. Auch hier möchte die Schulleiterin weiter und intensiver am Austausch mit den örtlichen Vereinen arbeiten. Und Frauscher wäre nicht Frauscher, wenn sie nicht hartnäckig am Ball bleiben würde – für ihre besonderen Kinder und Jugendlichen.

Text: Christine Wüst